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Samstag, 23. September 2023

«Die anonymen Romantiker»


Originaltitel: Les Émotifs anonymes, (2010, 79 Min.) Regie: Jean-Pierre Améris. Drehbuch: Jean-Pierre Améris, Philippe Blasband

In der 80-minütigen französisch-belgischen Komödie «Die anonymen Romantiker (Les Émotifs anonymes)» aus dem Jahr 2010 wird dargestellt, wie unsere Vorbehalte, Misstrauen und Ängste gegenüber den Mitmenschen es fast unmöglich machen, frohgemut leben zu können. Das Minderwertigkeitsgefühl zeigt sich darin, dass wir ganz empfindlich oder hochsensibel sind, ausweichen, uns schnell zurückziehen und uns nicht viel wert fühlen. Deshalb können wir den anderen oft nicht zeigen, wie einem zumute ist, können nicht in einen ruhigen Austausch kommen und uns nicht mit anderen enger verbinden; sei es im Beruf, im Alltag oder im Liebesleben. Die meisten Menschen sind gerade in der Liebesbeziehung sehr eingeschränkt. Selten gibt es jemanden, der sich für einen anderen interessiert und dabei – im Gefühl – nicht angespannt, zurückhaltend oder aufgeregt ist. Mit viel Charme und Einfühlungsvermögen beschreibt dieser Film solche Gefühle, über die dann jeder selbsterkennend lachen kann, auch wenn diese pointiert dargestellt werden. Es ist herzerwärmend wie trotz der offensichtlichen Schwächen und zaghaftem und befangenen Gefühlslagen, trotz starker Fluchttendenzen, Anspannung und ganz falschem Verhalten sich zwei sich immer mehr Liebende finden können.

Im Film zeigt sich Jean-René, der Besitzer einer traditionellen Schokoladenmanufaktur, bei seinen Mitarbeitern gehemmt und linkisch. Er ist extrem schüchtern, weicht vor den Menschen aus, lebt für sich und hat noch nie eine Liebes-Beziehung entwickeln können. Er muss sich immer überwinden, mit anderen Menschen zu reden. Muss er reden, weil das Leben es erfordert, schwitzt er stark, stottert, es fällt ihm nichts Interessantes zum Reden ein, er verfällt in Panik und schaut, wie er sich innerlich oder äusserlich entfernen kann. Er folgt dem angstbesetzten Glaubenssatz seines Vaters: «Hoffentlich passiert uns nichts.» Auch bei einer Stellenausschreibung entscheidet er sich für die erste Bewerberin, Angélique, um sich dem direkten Gespräch mit anderen Menschen entziehen zu können. Sein Problem bespricht er bei einem verständnisvollen und interessierten, etwas zurückhaltenden Psychotherapeuten, auf den er sich verlassen kann und der ihn behutsam auf seine Bewältigungsmechanismen hinführt. Leider untersucht dieser nicht den geschichtlichen Hintergrund von Jean-Renés Gefühlshaushalt anhand einer Plananalyse, sondern gibt ihm wie in der traditionellen Verhaltenstherapie kleine Aufgaben, an die sich Jean-René zu halten versucht, was ihm neue Erfahrungen ermöglicht, die er beim Psychotherapeut gut besprechen kann.

Jean-René lässt sich durch das Leben und die Hilfe des Psychotherapeuten auf Situationen ein, die er aufgrund seiner Lebensmelodie eigentlich vermeiden will. Er zieht auch aus positiven Erlebnissen nicht den Schluss, dass er sich anders sehen und fühlen könnte, sondern fragt sich sofort: «Wie komme ich da wieder heraus?» Zum Beispiel zieht er aus einem innigen Kuss mit der neu angestellten Angélique, die ihm – und er ihr – ganz zugeneigt ist, nicht, dass das Leben schöner sein könnte als bisher, sondern fragt sich, wie er sich aus dieser für seinen Gefühlshaushalt bedrohlichen Situation wieder entziehen kann.

Angélique ist wie Jean-René begeistert vom braunen Gold – von Schokolade. Darin passen sie sehr gut zueinander. Andere Themen, die sie sich für ein erstes Treffen mit ihm aufgeschrieben hat, interessieren weder sie noch ihn. Nur wissen es beide nicht und beide glauben, sie seien für den anderen nicht attraktiv und interessant genug. Angélique hat sich in ihrem Leben ebenfalls unbewusst darauf verlegt, bei den Menschen ganz vorsichtig zu sein. Ihr Glaubenssatz, den sie ständig wiederholt, lautet: «Ich bin eine Null» Einen kurzen Einblick, wie sie zu dieser Deutung des Lebens und ihrer Gefühls-Logik kommt, ergibt eine Szene mit ihrer Mutter, in der sich deren egozentrische Art zeigt: Diese nutzt die Wohnung ihrer Tochter für ein sexuelles Abenteuer – mit einem heimlich nachgemachten Schlüssel und ohne es mit ihr abzusprechen.

Ist Angélique für andere wichtig, läuft sie rot an, entzieht sich sofort oder – wenn das nicht möglich ist – fällt sogar in Ohnmacht. Sie holt sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe, in der jeder von seiner grossen Empfindlichkeit berichtet oder der Unfähigkeit, Nein zu sagen. Sie erlebt wie alle Gehör und Verständnis von anderen. Und doch können sie einander kaum dabei helfen, wie man davon loskommt, dass jedes Wort an einen Mitmenschen eine enorme Überwindung kostet – weil sie den Zusammenhang zu ihrer Lebenslogik nicht erforschen.

Es ist berührend, wie bestimmte Umstände im Leben zufällig ermöglichen, dass sich Angélique und Jean-René trotz ihrer irrtümlichen Gefühlskonstruktionen näherkommen können. Angélique erkennt, dass sie sich zwar gut verstehen, aber gleichzeitig Schwierigkeiten haben werden, weil sie beide übervorsichtig sind. Und doch haben beide je einen Kreis von Menschen hinter sich, die sie ermutigen, das Wagnis einer Partnerschaft einzugehen. Sie finden sich darin, dass sie sich nicht offiziell binden wollen können. Um nicht im Mittelpunkt stehen zu müssen, flüchten sie direkt vor ihrer Hochzeitsfeier in die gemeinsame Zukunft.

Ablauf Filmbesprechung

  • 16.00 h Gemeinsames Kochen, für diejenigen, die gerne mitkochen
  • 17.30 h gemeinsames Essen, für diejenigen, die gerne gemeinsam essen
  • 21.15 h Besprechung des Filmes: Die Filme werden vorher von jedem privat angeschaut.

Die Filmbesprechungen finden in Dübendorf, Im Schossacher 17, 3. Stock statt.

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Der Mensch ist von Natur aus nicht böse.
Alfred Adler

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